Badische Zeitung reviews Immortalismus

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Im Freiburger Kunstverein ist die Ausstellung "Immortalismus" zu sehen

Jenseits aller Grenzen laufen die Programme weiter: Die Ausstellung "Immortalismus" im Freiburger Kunstverein.

Wie es aussieht, wenn eine Utopie an der Schwelle zur Verwirklichung angekommen ist, vermittelt die konzeptionelle Einführung in die Ausstellung "Immortalismus", die der Kunstverein Freiburg zu den Russischen Kulturtagen beiträgt. Ein historischer Abriss auf einer Informationswand verschafft einen Überblick über den Biokosmismus, dessen Protagonisten mit dem utopistischen Elan der Russischen Revolution nichts Größeres einforderten als das Menschenrecht auf Unsterblichkeit.

Das damals noch anmaßend erscheinende Ansinnen berief sich auf Vorstellungen von der Unendlichkeit des Weltalls sowie auf die Verheißungen des technischen Fortschritts. Eher beiläufig und leicht zu übersehen dokumentiert eine Tablet-Touchscreen gegenüber den Wandtexten den immensen Zeit- und Paradigmensprung von einem Jahrhundert. Abrufbar sind informative Promo-Videos der zuständigen Konzerne, deren Megaprojekte jene längst aus dem Bewusstsein geschwundenen Utopien als kommerzielle Tatsachen scheinbar wiederbeleben.

Zwischen jener utopiebesessenen Vergangenheit und den Versuchungen des heute technisch Machbaren fächert sich die zweite Ausstellung unter der Regie von Heinrich Dietz auf. Ihre Zeitgemäßheit drückt sich allein in der vagen Konsistenz der Exponate aus: Videos, Computeranimationen, 3D-Druck, Acrylglas und Silicon, deren zumeist fragiler Transparenz das einzige, allerdings schwergewichtige Gemälde von Dominik Sitte sich widersetzt. Die mäandernden Arbeitsspuren erstarren in einem erstickenden Konzentrat aus unzähligen Farbschichten, so dass die körperliche Authentizität des Malprozesses zwar präsent, gleichzeitig aber ad absurdum geführt ist. Anstatt mit einer individuellen Vergangenheit befasst sich das Video des in Moskau geborenen Künstlers Anton Vidokle mit der Historie. Der Film taucht ein in die Texte des russischen Philosophen und Visionärs der Unsterblichkeit Nikolaj Fedorov (1829 –1903), der das Museum als dem Hort der Ahnen zur Stätte der physischen Wiedergeburt erklärte.

Die Mehrzahl der Exponate aber weist in die Zukunft. Wie die Kunst ihren erhabenen Anspruch auf Ewigkeit noch immer einlösen könnte, exemplifiziert eine lebhafte Animation des Holländers Harm van den Dorpel. Ein Algorithmus kreiert aus paarweise sich vereinenden Bildern unaufhörlich neue Nachkommenschaften. Auf Acrylglas gedruckt, zitieren diese durchaus museablen Arbeiten eher zufällig passend den russischen Konstruktivismus.

Den Kontrapunkt zu Harm van den Dorpels Perfektion und optimistischen Farben setzen die verstörenden Skulpturen aus Wachs und Silikon der Belgrader Künstlerin Ivana Bašic – Figuren wie aus abgestorbenem Fleisch als Metaphern des Verfalls und einer lebensfeindlichen Deformation, die dem Körper droht, wenn er sich der permanenten Optimierung verweigert. Weniger monströs, jedoch ebenso wie an der Grenze zum Belebten verharren die chitinartigen Kunststoffmembranen des litauischen Duos Pakui Hardware. Als fortschrittliche Laborprodukte simulieren sie Organisches wie Haut, Lungenflügel oder Wirbelsäulen.

"I don’t believe in death" lautet der Titel eines 3D-Videos als Teil einer Installation von Tchelet Weisstub. Während ein virtuelles Wohnzimmer von einem schwarzen Nichts aufgefressen wird, vakuumiert ein Staubsauger einen jugendlichen Frauentorso, dessen plötzlich gedellte Haut sich anders als wirkliches Bindegewebe wieder erholt, sobald der Staubsauger abgeschaltet ist. Lina Harmsdorfs Soundinstallation mit "Antonia", einer weder als menschlich noch als digital zu identifizierenden Stimme, die Videoinstallation "Amos World" von Cecile B. Evans, ein Film von Kitty Kraus, der eine Bewegung in paradoxem Stillstand suggeriert, und Oliver Larics "Life Masks" aus gescannten und in 3D geprinteten Bildern von Hollywoodgrößen komplettieren die Ausstellung.

Ist die Sterblichkeit abgeschafft, dann mit ihr auch der Mensch nach seinem Jahrhunderte alten Selbstbild. Mit technischen Implantaten, elektronischen Prothesen und gentechnischen Manipulationen ist längst ein Status quo erreicht, von dem aus die menschliche Selbsterweiterung grenzenlos erscheint. Eine kompatible Philosophie liefert der Transhumanismus, der als hochaktuelles Problemfeld diese luzide Ausstellung grundiert, während deren verführerisch cleane Ästhetik sich der Ambivalenz der technischen Entwicklungen aussetzt.

Kunstverein Freiburg, Dreisamstr. 21.
Bis 21. Oktober, Di bis So 12–18 Uhr, Mi
10–20 Uhr.

Text: Badische Zeitung

Publication date: 21 Sep '17